Bewegungsmangel ist eine weit verbreitete Krankheit, die sich auch u.a. auf die Gelenke auswirkt. Wenn die Gelenke nicht ausreichend bewegt werden, kann dies u.a. z.B. zu Arthrose führen. Bewegungstraining in Form von z.B. Lauftraining oder Krafttraining kann helfen. Oft wird Lauf- und Kraftsportler eine Vielzahl von Mobility-Übungen empfohlen, die viel Zeit in Anspruch nehmen und wertvolle Zeit für das eigentliche Training, Regeneration oder andere wichtige Dinge rauben.
Doch, wie viel Mobility-Training ist wirklich notwendig? Noch zielführender formuliert: Wie wenig Mobility-Training kann man machen und trotzdem die besten Ergebnisse erzielen?
Die Antwort ist oft überraschend: Weniger, als man denkt, solange man die richtige Strategie verfolgt. U.a. darum geht es in diesem Beitrag. Zuvor klären wir erst einmal, was Mobility ist und ob es seinem Ruf, Schutz vor Verletzungen und Schmerzen, wirklich gerecht wird.
Was ist und bringt Mobility-Training?
Deine Fähigkeit, bestimmte Übungen und Bewegungen sicher und korrekt auszuführen, hängt von deiner Mobilität ab. Eine optimale Mobilität maximiert die Effektivität deines Trainings. Wenn es eine Lücke zwischen den Anforderungen an deine Beweglichkeit und deinen Fähigkeiten gibt, benötigst du mehr Mobilität. Aber keine Sorge, du kannst deine Mobilität durch systematisches Mobility-Training verbessern. Allerdings solltest du darauf achten, nicht unnötig viel Zeit in Mobility-Training zu investieren, da es entweder nicht notwendig oder ineffektiv sein kann. Mein Ansatz ist es, so wenig Mobility-Training wie möglich und so viel wie nötig zu machen. In diesem Beitrag erfährst du, wie du dieses Ziel erreichen kannst.
Bevor wir starten, möchte ich den Begriff Mobility klären und abgrenzen. Mobility bezieht sich auf die Amplitude, die ein Gelenk aus eigener Muskelkraft einnehmen kann. Es beschreibt den Bereich aller Winkel, in die du ein bestimmtes Gelenk ohne Unterstützung von außen bringen kannst. Mobility wird auch als "aktive Beweglichkeit" bezeichnet und von Flexibilität (oder "passiver Beweglichkeit") abgegrenzt. Flexibilität bezieht sich auf die Amplitude, die ein Gelenk erreichen kann, wenn es von außen unterstützt wird.
Wenn es um Beweglichkeitstraining geht, denken die meisten Menschen an Dehnübungen, die zweifellos helfen können. Doch was viele nicht wissen: Eine größere Beweglichkeit entsteht vor allem durch Anpassungen im Nervensystem.
Im Gegensatz zu dem, was oft behauptet wird, verlängern Dehnübungen Muskeln und andere Gewebe nicht signifikant. Stattdessen gewöhnt sich der Körper an den Dehnungsschmerz und wird toleranter gegenüber tieferen Dehnungen.
Das bedeutet, dass Dehnübungen das Gewebe nicht wesentlich verändern, sondern lediglich ermöglichen, es weiter zu strecken. Diese Erkenntnis ist von entscheidender Bedeutung, um den Zusammenhang zwischen Beweglichkeit und Schmerzen zu betrachten.
Meine Erfahrung ist, Mobility-Training kann sehr zeitaufwendig sein. Umso wichtiger ist zu klären, ob es sich überhaupt lohnt, Zeit und Mühe in das Mobility-Training zu investieren, um z.B. Verletzungen zu vermeiden oder Schmerzen zu lindern?
Mobility Training: Schutz vor Verletzungen und Schmerzen?
Wenn man Schmerzen in Bewegungen hat, hört man oft den Rat, sich durch Mobility-Training mit Faszienrollen und ähnlichen Hilfsmitteln zu helfen. Dabei soll man auf bestimmte Stellen drücken und Muskeln dehnen oder stärken. „Verkürzte“ oder verklebte Faszien werden oft als Ursache für Schmerzen genannt. Doch dieses Modell
suggeriert, dass Beweglichkeitsverluste mit strukturellen Veränderungen im Gewebe einhergehen, was dann zu Schmerzen führt.
Allerdings lässt sich mangelnde Beweglichkeit bei gesunden Menschen meist durch zwei Faktoren begründen: Eine ungewohnte Körperhaltung und Gelenkstellung sowie das Nervensystem, das nicht die volle Länge des Muskels freigibt. Zudem sind Faszien sehr widerstandsfähig und lassen sich selbst mit der aggressivsten Faszienrolle strukturell nicht verändern. Eine Studie mit dem Faszien-Forscher Robert Schleip hat dies bestätigt.
Doch warum führt die Faszienrolle dennoch zu kurzfristiger Flexibilität? Forscher gehen davon aus, dass dies auf eine veränderte Schmerzwahrnehmung zurückzuführen ist und nicht auf eine Veränderung des Gewebes.
Mobility-Training ist oft nicht die ultimative Lösung bei Schmerzen, die durch Verkürzungen und Verklebungen verursacht werden. Es kann jedoch indirekt helfen, indem es zusätzliche Optionen bietet, um ein schmerzendes Gelenk zu entlasten.
Mobility ist kein Wundermittel, aber es erweitert deine Möglichkeiten und verhindert, dass du in einer Trainings-Sackgasse landest. Es ermöglicht dir, empfindliche Stellen zu umgehen oder auf angenehmere Weise zu belasten, um beim Training dranzubleiben.
Mobility-Training effektiver einsetzen
Bevor du dich ins Training für mehr Beweglichkeit stürzt, solltest du sicherstellen, dass zwei limitierende Faktoren ausgeschlossen werden können:
1) Technik: Führst du die Übung korrekt aus?
2) Knochenstruktur: Begrenzt deine individuelle Anatomie deine Beweglichkeit?
Es ist offensichtlich, dass Mobility-Training in beiden Fällen nicht die eigentliche Ursache beheben kann. Ein Beispiel dafür ist die tiefe Kniebeuge, bei der die Position entscheidend ist und individuell variiert. Dennoch werden oft pauschale Empfehlungen wie "Füße hüftbreit und parallel" gegeben, die einfach falsch sind. Dies führt dazu, dass viele Menschen eine suboptimale Position einnehmen, die aufgrund ihrer knöchernen Strukturen die Bewegung blockiert und somit die notwendige Tiefe nicht er-reicht werden kann. Im Allgemeinen spürt man eine Blockade immer auf der Seite des Gelenks, die sich schließt. Bei Kniebeugen würde man sie also im vorderen Hüftgelenk spüren. In diesem Fall kann Mobility-Training allein nicht helfen. Stattdessen ist es notwendig, die Technik anzupassen.
Bei den Kniebeugen kannst Du den Druck auf die Vorderseite des Körpers reduzieren und stattdessen eine Dehnung an der Rückseite des Hüftgelenks spüren. Daher ist es wichtig, die Kniebeugen individuell anzupassen. Auch wenn Du über eine gute Beweglichkeit verfügst, können ungünstige Hebelverhältnisse die Ausführung der Übung beeinträchtigen. Finde die optimale Technik für Deine individuelle Anatomie. Oftmals reicht es schon aus, die ideale Ausführung zu finden, um das gewünschte Ergebnis zu erzielen. Erst wenn alle Optionen ausgeschöpft sind, sollte man sich dem Mobilitätstraining widmen. Wenn Du trotzdem Schwierigkeiten hast, eine bestimmte Übung auszuführen, kannst Du mit einer einfachen Mobility-Trainingsmethode beginnen. Führe die Bewegung so gut wie möglich durch und achte darauf, dass Du eine Art dynamische Dehnung erzeugst. Auf diese Weise trainierst Du Dein Nervensystem und gewöhnst Dich an neue Gelenkwinkel, was zu einer verbesserten Beweglichkeit und Technik führt. Behalte dabei immer im Hinterkopf, dass jeder Körper individuell ist und es keine universelle Lösung gibt.
Eine schlechte Körperhaltung gibt es nicht - das mag überraschend klingen, aber es ist meine Erfahrung. Die Körperhaltung, die dein Körper gerade hat, ist die, an die er sich angepasst hat, um effizient zu arbeiten. Es gibt vielmehr eine unzureichende Vorbereitung auf das Training. Wenn du jedoch langsam und behutsam beginnst und dir
genug Zeit für die Steigerung von Last und Umfang nimmst, kannst du auch mit einer nicht perfekten Technik Trainingsreize verkraften.
Durch das richtige Maß an Belastung in Kombination mit aktiver Beweglichkeit stärkst du deinen gesamten Bewegungsapparat, einschließlich Muskeln, Bindegewebe, Knochen, Sehnen, Bänder und Knorpel. Solange du dich beim Training und danach gut fühlst und Fortschritte machst, ist nichts tabu. Wenn du Übungen wählst, die einen großen Bewegungsumfang in den Gelenken erfordern, in denen du mehr Mobility benötigst, kannst du sogar Zeit beim Mobility-Training sparen und den größten Effekt erzielen. So sind Mobility-Training und Lauf- und Krafttraining in einem kombiniert.
Autor: Alexander Schröder
Personal Trainer/Coach, Leistungssportler Mittel- und Langstreckenlauf, Gründer von Movement Skills, Lehrer für Sport & Mathematik
„Bewegungsfreiheit und Performance durch Bewegungskompetenz“
Fotos: Azib Hamidi